Wie wirken sich die Arbeitsbedingungen auf die Einstellungen von Angestellten aus?

Bild: GPA-djp Kompetenz 01-2006, Bilderbox

Viel ist derzeit die Rede von den Sorgen und Ängsten der Menschen, insbesondere auch der ArbeitnehmerInnen, die die Politik verstehen und ernst nehmen müsse. Das Thema ist derzeit so brisant wie schon lange nicht mehr, obwohl es im Grunde nicht neu ist.

„‚Nicht schon wieder‘, dachten wir uns allerdings auch, als es von Seiten der anderen Parteien wieder einmal hieß, man werde ‚die Sorgen und Ängste der kleinen Leute‘ ernst nehmen. Genau mit solchen guten Vorsätzen seiner politischen Gegner war der Aufstieg Jörg Haiders in den 80er und 90er Jahren gepflastert“ schrieben Jörg Flecker und Gudrun Hentges im Jahr 2006 in einem Artikel der KOMPETENZ (PDF). Der Frage, woher die Sorgen und Ängste der Menschen kommen und welche Ursachen sie haben könnten, sind die beiden ForscherInnen schon damals nachgegangen und haben sich dabei einem ganz bestimmten Zusammenhang gewidmet. In einem internationalen Forschungsprojekt haben sie untersucht, „ob die mit dem Erwerbsleben verbundenen Sorgen und Ängste der ArbeitnehmerInnen die politischen Erfolge der Rechtsextremen und Rechtspopulisten verständlich machen.“ Gerade in einer Zeit in, die durch Wandel bzw. Umbrüche und Unsicherheiten geprägt ist (Stichworte: Krise, Digitalisierung) sind diese Fragen auch aus gewerkschaftlicher Perspektive aktueller denn je, schließlich geht es um die Situation der ArbeitnehmerInnen und der Auswirkungen auf ihre Sichtweisen, Weltbilder und Einstellungen zu verschiedenen gesellschaftlich relevanten Themen.

Neben bisherigen Lehrveranstaltungskooperationen mit dem Institut für Soziologie der Universität Wien (Betriebsexkursionen mit BetriebsrätInnen in der Lehrveranstaltung „Arbeitswelt“) haben wir im Herbst 2016 in einer weiteren Lehrveranstaltungskooperation begonnen, uns mit den Veränderungen in der Arbeitswelt und den Einstellungen von Angestellten zu beschäftigen. In dem zweisemestrigen Forschungspraktikum (Wintersemester 2016/2017 – Sommersemester 2017) untersuchen die Studierenden gemeinsam mit den LehrveranstaltungsleiterInnen die aktuellen Entwicklungen in der Arbeitswelt, die Arbeitssituation bzw. die Arbeitsbedingungen von Angestellten sowie mögliche Auswirkungen auf „Weltbilder“ (gesellschaftspolitische Einstellungen, Zukunfterwartungen etc.). Da es die Möglichkeiten der Lehrveranstaltung übersteigen würde, einen Querschnitt aller Angestellten in allen Branchen österreichweit aussagekräftig zu untersuchen, konzentriert sich die Befragung der Angestellten auf die Branchen Handel und Banken (GPA-djp Wirtschaftsbereiche 12, 21, 22, 23).

Die Lehrveranstaltung folgt der These der Polarisierung in der „Mitte“, die in Österreich über lange Zeit durch die Angestellten repräsentiert war. Laut neueren Befunden nehmen Angestellte einerseits mit ihren technischen und betriebswirtschaftlichen Qualifikationen Schlüsselpositionen ein, andererseits entsteht jedoch auch ein neues „Dienstleistungsproletariat“ (von der „Generation Praktikum“ bis hin zu ganz aktuellen Formen wie Crowdworkern). Während das Aufstiegsstreben der Angestellten lange Zeit als kennzeichnend für ihre Mentalität galt, ist heute von einer Zunahme an Abstiegsängsten und -wahrnehmungen auszugehen und danach zu fragen, welche Hintergründe und konkrete Ursachen hierfür gesehen werden. Wesentliche Fragen dazu sind beispielsweise:

  • Welche konkreten Verschlechterungen spielen eine Rolle (individuell wie kollektiv)?
  • Wie werden die Veränderungen „erklärt“, welcher Stellenwert wird dabei nationalen und globalen Faktoren verliehen?
  • Inwiefern differenzieren sich die verschiedenen Milieus innerhalb der Angestellten auch auf der Bewusstseinsebene weiter aus?

Die Lehrveranstaltung ist als eine Kooperationslehrveranstaltung zwischen dem Institut für Soziologie der Universität Wien und der GPA-djp Bildungsabteilung organisiert. Im ersten Teil der Lehrveranstaltung werden grundlegende Theorien, methodische Zugänge und empirische Ergebnisse der (historischen) Bewusstseins- und Angestelltenforschung präsentiert und diskutiert. Im zweiten Teil erarbeiten die Studierenden gemeinsam mit den LehrveranstaltungsleiterInnen einen Fragebogen; dieser wird spezifischen Gruppen von Angestellten – konkret Handelsangestellte sowie Beschäftigte in der Bankenbranche – vorgelegt und anschließend gemeinsam ausgewertet. Der Zugang zu den befragten Angestellten wurde über die GPA-djp durch Unterstützung von BetriebsrätInnen in den jeweiligen Branchen hergestellt. Die Ergebnisse werden bis Ende des Sommersemesters 2016 in einem Bericht zusammengefasst und in einem abschließenden Workshop präsentiert.

Lehrveranstaltungsleitung

Institut für Soziologie der Universität Wien:

  • Univ.Prof.in Hilde Weiss (hildegard.weiss@univie.ac.at)
  • Dr.in Julia Hofmann (julia.hofmann@univie.ac.at)

GPA-djp Bildungsabteilung:

  • Mag. Thomas Kreiml (thomas.kreiml@gpa-djp.at)

Literaturliste zum Thema:

  • LiteraturAtzmüller, Roland/Hürtgen, Stefanie/Krenn, Manfred (2015): Die zeitgemäße Arbeitskraft. Qualifiziert, aktiviert, polarisiert. Beltz Verlag.
  • Boes, Andreas/Kämpf, Tobias (2010): Zeitenwende im Büro: Angestelltenarbeit im Sog der Globalisierung. WSI Mitteilungen 12 (2010): 611-617.
  • Dörre, Klaus/Hänel, Anja/Holst, Hajo/Matuschek, Ingo (2013): Guter Betrieb, schlechte Gesellschaft.  Arbeits- und Gesellschaftsbewusstsein im Prozess kapitalistischer Landnahme. In: Koppetsch,  Cornelia (Hrsg.): Nachrichten aus den Innenwelten des Kapitalismus. Zur Transformation moderner Subjektivität. Wiesbaden: 21-49.
  • Dubet, Francois (2008): Ungerechtigkeiten. Zum subjektiven Ungerechtigkeitsempfinden am Arbeitsplatz. Hamburger Edition.
  • Flecker, Jörg/Krenn, Manfred (2004): Abstiegsängste, verletztes Gerechtigkeitsempfinden und Ohnmachtsgefühle – zur Wahrnehmung und Verarbeitung zunehmender Unsicherheit und Ungleichheit in der Arbeitswelt. FORBA.
  • Haipeter, Thomas (2016): Angestellte Revisited. Arbeit, Interessen und Herausforderungen für Interessenvertretungen. VS Verlag für Sozialwissenschaften.
  • Haipeter, Thomas (2006): Bankkaufleute in der Reorganisation. Zur Lage der Erstausbildung im Bankgewerbe. Zeitschrift für Soziologie 35 (1), 57-76.
  • Heitmeyer, Wilhelm (2011): Deutsche Zustände. Das entsicherte Jahrzehnt. Presseinformation zur Präsentation der Langzeituntersuchung Gruppenbezogene Menschenfeindlichkeit. Bielefeld: Universität Bielefeld.
  • Kratzer, Nils/Menz, Wolfgang/Tullius, Knut/Wolf, Harald (2016): Beschäftigte wollen gerechtigkeit und einen effizient geführten Betrieb. Ansprüche an Erwerbsarbeit und interessenpolitisches Mobilisierungspotenzial. HBS Policy Brief 2 (2016).
  • Neckel, Sighard/Somm, Irene/Dröge, Kai (2002): Das umkämpfte Leistungsprinzip – Deutungskonflikte um die Legitimationen sozialer Ungleichheit. WSI Mitteilungen 7 (2005): 368-374.
  • Voss-Dahm, Dorothea (2002): Verkaufsarbeit im Einzelhandel – einfache Dienstleistungsarbeit? WSI Mitteilungen 55 (2002): 498-504.
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