Was denken die Angestellten? (5/10)

Eine Befragung von Handels- und Bankenbeschäftigten zu Arbeitsbedingungen und gesellschaftlichen Entwicklungen

5. ENTGRENZUNG VON ARBEIT

Bild: GPA-djp, fotolia.com

Yma Gärber, Melanie Frötscher

Entgrenzung ist ein weit verbreitetes Phänomen in der heutigen Arbeitswelt. Ein gutes Beispiel ist die Zunahme des sogenannten „Home-Office“ und die damit einhergehende Selbstverantwortlichkeit für die eigene Arbeitszeit bei gleichzeitig notwendiger, permanenter Erreichbarkeit, etwa am Handy oder durch das Lesen von arbeitsbezogenen Mails zu jeder Tages- und Nachtzeit.

In der Sozialwissenschaft wird das Phänomen der Entgrenzung wie folgend definiert: „Wenn in der Lite- ratur von der Entgrenzung der Arbeitszeit die Rede ist, ist damit in der Regel die Aufweichung der soge- nannten Normalarbeitszeit (40-Stunden-Woche) sowie eine Flexibilisierung und Verlängerung von Arbeits- zeit gemeint. […] die Arbeitszeiten [nehmen] in Teilbereichen stark [zu] es [kommt] zu einer Vermischung zwischen Arbeitszeit und Freizeit, weil Beschäftigte Arbeit mit nach Hause nehmen oder zumindest phasen- weise zu Hause arbeiten, oder einfach nur, weil sie auch innerhalb ihrer Freizeit für ihren Arbeitgeber erreichbar sind“ (Eichmann/Hermann 2004, S. 8).

Auf den ersten Blick fällt auf, dass nur 5 Prozent der 819 von uns Befragten, somit nur 41 Personen, die Frage nach der Erledigung der Firmentätigkeiten während der Freizeit eindeutig bejahen. Insgesamt tendieren jedoch 19,7 Prozent zu einer tendenziellen Zustimmung. Das sind rund ein Fünftel der Befragten. Etwa 80% der befragten Personen geben demnach an, kaum mit der Erledigung von Tätigkeiten der Firma während ihrer Freizeit konfrontiert zu sein. Somit kann konstatiert werden, dass Entgrenzung bei den von uns Befragten zwar keine große Rolle spielt, jedoch auch nicht selten vorkommt.

Unterschiede nach Branchen

Interessant ist in diesem Zusammenhang die Frage, ob das Phänomen der Entgrenzung vermehrt im Bankwesen oder im Handel auftritt. Es ist sehr auffällig, dass rund 23% der Befragten im Banken- und Kreditwesen angeben, von einer Entgrenzung ihrer Arbeit betroffen zu sein. Im Handel trifft das Phänomen der Entgrenzung nur auf rund 13 Prozent der Befragten zu. Bankangestellte sind somit um einiges häufiger davon betroffen, Tätigkeiten der Firma auch außerhalb ihrer Arbeitszeit erledigen zu müssen als Handelsangestellte.

Unsere These zur Erklärung dieser Differenzen wäre, dass im Handel noch eine klarer strukturierte Arbeitszeit vorhanden ist als im Bankwesen. In einem Geschäft können die MitarbeiterInnen nach Geschäftsschluss nach Hause gehen. In einer Bank gibt es neben den Öffnungszeiten viele andere Arbeiten, die noch anfallen können und erledigt werden müssen.

Beschäftigungsformen und Entgrenzung

Aufgrund früherer Forschungen (u.a. Wagner 2001), welche zeigten, dass vor allem der obere und untere Rand der Beschäftigten vom Phänomen der Entgrenzung betroffen ist, haben wir einen Blick auf die Beschäftigungsformen der Angestellten geworfen. Hier wird deutlich, dass Personen, welche eine leitende Funktion haben, deutlich mehr entgrenzt arbeiten als einfache oder mittlere Angestellte.
Rund 90 Prozent der einfachen und rund 80 Prozent der mittleren Angestellten gaben an, dass auf sie das Phänomen der Entgrenzung nicht zutrifft. Demgegenüber gaben 52 Prozent der leitenden Angestellten an, dass sie entgrenzt arbeiten. Das heißt, dass rund jeder zweite leitende Angestellte in seiner Freizeit Firmentätigkeiten erledigt (siehe Graphik 1).

Graphik 1: Entgrenzung nach Berufsstatus

Dieses Ergebnis wird in der Literatur unterschiedlich erklärt: In Bezug auf den unteren Rand der Angestellten wird in den sozialwissenschaftlichen Studien (Wagner 2001) u.a. der niedrige Stundenlohn und die damit einhergehende Notwendigkeit der Erhöhung der Arbeitsstunden als Erklärungsfaktor herangezogen. Die Erklärung für den oberen Rand verweist darauf, dass eine höhere Position auch mehr Verantwortung bedeutet und sich dadurch der Arbeitsaufwand und der Leistungsdruck erhöht.

Bildung und Entgrenzung

Wir haben weiters den Zusammenhang zwischen dem Phänomen der Entgrenzung und dem Bildungsniveau der Befragten untersucht. Auch hier gab es ein spannendes Ergebnis. Es wurde deutlich, dass AkademikerInnen sehr viel mehr von dem Phänomen der Entgrenzung betroffen sind als Nicht-AkademikerInnen.

Ein Drittel der AkademikerInnen erledigt Firmentätigkeiten in der Freizeit, bei Personen mit Maturaabschluss sind es rund 18 Prozent. Bei Personen mit Pflichtschulabschluss bzw. Lehrabschluss übernehmen nur knapp 13 Prozent Tätigkeiten in ihrer Freizeit. Man sieht daher eine konstante Zunahme der Entgrenzung durch die Erledigung von Firmentätigkeiten in der Freizeit mit steigendem Bildungsniveau.

Tatsächliche vs. gefühlte Entgrenzung

Des Weiteren stellten wir uns die Frage, ob das Gefühl der Befragten entgrenzt zu arbeiten, mit den tatsächlich geleisteten Überstunden übereinstimmt.

Wir haben daraufhin einen Blick auf die vertraglich vereinbarten Wochenarbeitsstunden und die tatsächlich geleisteten Arbeitsstunden geworfen. Der Mittelwert der geleisteten Überstunden liegt bei 3,7 Stunden pro Woche, dies ist bei 8 Stunden pro Tag in einem Normalvollzeitarbeitsverhältnis weniger als 1 Stunde pro Tag. Auch wenn dies auf den ersten Blick nicht viel erscheint, summiert sich die Anzahl an Überstunden natürlich pro Monat bzw. Jahr. Wenn man davon ausgeht, dass ein Monat vier Wochen hat, kommen die Beschäftigten auf insgesamt rund 15 Überstunden pro Monat. Pro Jahr macht das knapp 200 Überstunden aus. Bei einem Normalvollzeitarbeitsverhältnis von 38,5 Wochenstunden, ergeben sich fünf Wochen Mehrarbeit pro Jahr.

Ca. 45 Prozent der Befragten machen sehr wenige bis keine Überstunden. Die Prozentzahl der Personen, die sehr viele Überstunden machen (über 20h/Woche) liegt bei 8 Prozent, dies scheint auf den ersten Blick auch nicht viel. Doch wenn man bedenkt, dass dies bei 763 Befragten (die ungültigen Fälle ausgeschlossen) ca. 61 Personen sind, welche wöchentlich mehr als 10 Stunden zusätzlich arbeiten, ist dies doch eine ganze Menge (Graphik 2).

Graphik 2: Anzahl an Überstunden pro Woche

Interessant ist, dass die eigene Einschätzung der Befragten mit den vorherigen Ergebnissen größtenteils übereinstimmt: Je mehr Überstunden gemacht werden, umso höher ist auch das Gefühl entgrenzt zu arbeiten. Nur ca. 10 Prozent der Personen, welche bis zu zwei Überstunden die Woche absolvieren, haben angegeben, dass sie entgrenzt arbeiten.

Am oberen Ende der „Überstundenskala“ zeigt sich jedoch ein widersprüchliches Ergebnis: Von den Personen, welche angaben, dass sie mehr als 20 Überstunden pro Woche machen, meinte knapp die Hälfte, dass sie nicht entgrenzt arbeiten. Dieses Ergebnis ist höchst erstaunlich, da 20 oder mehr Überstunden mindestens 4 zusätzliche Arbeitsstunden pro Tag voraussetzen, wenn man davon ausgeht, dass an 5 Tagen pro Woche gearbeitet wird. Das Phänomen der Entgrenzung zeigt sich bei ihnen sehr deutlich, die Grenzen zwischen Arbeit und Freizeit verschwimmen immer mehr; trotzdem scheint kaum ein Bewusstsein für diesen arbeitsrechtlich bedenklichen Zustand vorhanden zu sein.

Literatur

  • Eichmann, Hubert/Hermann, Christoph (2004): Umbruch der Erwerbsarbeit – Dimensionen von Entgren- zung der Arbeit. Auszug aus dem EAP-Zwischenbericht. In: http://www.forba.at/data/downloads/ file/80-EAP Diskussionspapier 1 Eichmann-Hermann.pdf (29.05.2017).
  • Wagner, Alexandra (2001) Entgrenzung der Arbeit und der Arbeitszeit? In: Arbeit 10 (3): 365-378.
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