Die sogenannte „Eurokrise“, wie die durch die Finanzkrise verursachte Staatsschuldenkrise im Euroraum auch genannt wird, gehört zu den wichtigsten wirtschaftlichen und vor allem politischen Entwicklungen, die aktuell stattfinden. Fast täglich gibt es neue Berichte zu diesen Entwicklungen. Sowohl die Diagnosen der Ursachen wie auch die Vorschläge zur Krisenbewältigung sind zwar insgesamt vielfältig, in der breiten Medienöffentlichkeit werden jedoch nicht alle Standpunkte wiedergegeben. Deshalb ist es auch gar nicht so einfach, sich ein differenziertes Bild der Geschehnisse zu verschaffen und einen kritischen Blick auf die verschiedenen Medienberichte zu werfen.
In einer solchen Situation sehen wir es als unbedingte die Aufgabe gewerkschaftlicher Bildungsarbeit, eine Möglichkeit zur intensiven Beschäftigung mit allen Fragen um „die Krise“ im Rahmen eines Seminars zu schaffen. Dabei war bei der Planung des Seminartermins noch keineswegs klar, dass der fixierte Termin, der 14. Juni 2012, so kurz vor den erneuten Parlamentswahlen in Griechenland liegen würde.
Das Seminar “Schuldenmythen und Fiskalpakt – Demokratieabbau in Krisenzeiten” war zunächst kurzgefasst auf folgende Themenfelder ausgerichtet:
- Hintergründe der Staatsverschuldung, insbesondere ihre Zusammenhänge mit der Finanzkrise;
- das (behauptete) Problem der Staatsverschuldung („Schuldenmythen“) und Austeritätspolitik (Sparen) als vermeintlich optimale bzw. einzige Lösung des Schuldenproblems;
- die ökonomische Logik, die der aktuellen Spar- und Konsolidierungspolitik zugrunde liegt („Neoliberalismus“);
- das Verhältnis von Neoliberalismus und Demokratie („Hegemonie“);
- Zusammenhänge zwischen Austeritätsprogrammen (Sparpolitik) und wirtschaftlichen Entwicklungen, insbesondere die Auswirkungen auf ArbeitnehmerInnen (etwa am Beispiel Griechenlands);
- das Instrument des Fiskalpakts: Hintergründe, europarechtliche Grundlagen und demokratische sowie wirtschaftliche Risiken.
Inhaltlicher Überblick: Seminarmaterialien und Hinweise zur weiteren thematischen Vertiefung
I
Zum Einstieg in den Seminartag und das Thema wurden bisherige Erfahrungen und spezielle themenbezogene Interessen der TeilnehmerInnen gesammelt (hier in Stichworten zusammengefasst wiedergegeben):
Was ich bisher gehört habe
Horrormeldungen – jeden Tag | Unterschiede zwischen Nord- und Südeuropa | „Die faulen Griechen“ – was hat „der Norden“ dazu beigetragen | Stabilitätspakt führt zu Pensionskürzungen | „Eurokrise“ – „Schuldige“ vs. USA etc., Angstmacherei | Versagen der Politik – politik ziemlich machtlos | Fehlinformationen – fragliche Informationen in den Medien – „was stimmt?“ – Un-/Wahrheit? | Bekenntnis dazu, die Staatsschulden einzudämmen, allerdings nicht auf dem Rücken der ArbeitnehmerInnen | „Die Schulden sind nicht mehr bewältigbar“ | EFSF, EMS, Euro-Bonds, CDS, IWF, EZB
Was mich interessiert
Wie kann der Schuldenberg abgetragen werden? | Vorschläge zur Krisenbewältigung | Zusammenhänge zwischen Arbeit – Produktion – Kapital – Geld | die Einschätzung der aktuellen Entwicklungen seitens der GPA-djp | Regelungsmechanismen für Wirtschaft und Finanzmärkte | Zusammenhänge zwischen Eurokrise und 1. österreichischen Sparpaketen, 2. der alltäglichen Praxis in den Betrieben, 3. der Weltwirtschaft ($) | wie kann die negative Stimmung aufgelöst werden? | Unterschiede zwischen europäischen Staaten (Staatsverschuldung, Wirtschaftsleistung etc.) – welche und warum? | welche Unterschiede bestehen zwischen öffentlichen und privaten Haushalten hinsichtlich der Schuldenproblematik? | Wachstumsimpulse: wie sollten diese gesetzt werden und woher soll das Geld dafür genommen werden? | was würde wirklich passieren, wenn „Reiche“ stark besteuert würden? | Szenarien für einen Ausstieg aus dem Euro durchdenken
Was ich brauche (für meine Tätigkeit als Betriebsratsmitglied zu diesem Thema)
Infos bzw. mehr und fundiertes Wissen – Verständnis der Zusammenhänge – konsistente Gesamterklärung der Krise | Argumente gegen finanzmarktgetriebene Behauptungen | alternative Vorschläge (nachhaltigkeit und sozial) | Ehrlichkeit dem/der einzelnen BürgerIn/ArbeitnehmerIn gegenüber | Argumentationsgrundlagen für Fragen der KollegInnen im Betrieb (in der Beratungstätigkeit als Betriebsratsmitglied | Einschätzung künftiger Risiken für die ArbeitnehmerInnen
II
Fachlicher Input von David Mum (GPA-djp Grundlagenabteilung) und Diskussion: Wirtschaftliche Hintergründe der Staatsverschuldung in Österreich und anderen europäischen Staaten, Einschätzung der Austeritätspolitik insgesamt sowie des letzten österreischen Sparpakets.
III
Die Euro- bzw. Staatsschuldenkrise als Folge der Finanzkrise und weiterhin ungeregelter Finanzmärkte sowie ungelöster Probleme ungleicher Verteilung – kurz zusammengefasst erklärt (Video):
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Fachinput Mag. Lukas Oberndorfer (AK Wien, Abt. EU & Internationales) und Diskussion: Der Fiskalpakt als vorläufiger Gipfel jahrelanger neoliberaler Politik – trotz oder gerade wegen der aktuellen Krise (des Neoliberalismus); Zusammenhänge zwischen wirtschaftlichen und europarechtlichen Entwicklungen; entdemokratisierende Schritte im Zuge der Durchsetzung des Fiskalpakts und der Economic Governance.
V
Zusätzliche Seminarmaterialien und weiterführende Hinweise
- „Europa neu begründen!“, Initiative angeführt von deutschen GewerkschafterInnen und SozialwissenschafterInnen gegen die aktuelle deutsche und europäische Politik der Krisenbearbeitung mit konkreten Alternativvorschlägen.
- Aufruf „Demokratie statt Fiskalpakt“, Initiative „gegen die autoritär-neoliberale EU der Wenigen“ ein Zeichen für ein „demokratisches und sozial-ökologisches Europa der Vielen“ setzen!
- Veranstaltungshinweis: ÖGB-Europadialog „Europa – Wachsen statt Sparen“ am 26. Juni mit Foglar und Faymann.
- Dokumentation der Wege aus der Krise-Aktionskonferenz „Eure Schulden, unsere Demokratie“ Mitte Mai 2012 im ÖGB mit einer Reihe aufgezeichneter Vorträge – unter anderem von Lukas Oberndorfer (AK Wien), Markus Marterbauer (AK Wien), Karin Küblböck (Attac), Hans Jürgen Urban (IG Metall) – und Präsentationsunterlagen. („Wege aus der Krise“ ist eine Allianz mehrerer österreichischer Gewerkschaften und NGOs, darunter Attac Österreich, Die Armutskonferenz, GdG-KMSfB, GLOBAL 2000, GPA-djp, Greenpeace, ÖH, PRO-GE, SOS Mitmensch und VIDA)
- Welt Online: „Jagd auf die Steuermilliarden der Elite-Griechen“: ein Artikel zu einem wesentlichen Aspekt der Problemlage in Griechenland, nämlich der Steuerflucht der vermögenden Eliten, die die Schuldenproblematik verschärft; darin wird ein wesentlicher Grund für die europaweite Krisenentwicklung deutlich: die immense Ungleichverteilung von Vermögen und Kapital.
- Literaturtipp zur betrieblichen Durchsetzungsfähigkeit: „Betriebsratsrealitäten. Betriebliche Durchsetzungsfähigkeit von Gewerkschaften und Betriebsräten im Kontext der Globalisierung.“ (Erschienen im ÖGB Verlag.)
- Budgetposten des österreichischen Staatshaushalts: Steuermitteleinsatz nach Budgetbereichen (Broschüre des Bundesministeriums für Finanzen, PDF 06/2012)
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