Die Schule vielfältig erneuern!

cc by digiom.wordpress.com

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Das 5. Internationale Alfred-Dallinger-Symposium, das im Jänner 2014 stattfand, stand unter dem Motto „Gemeinsam Lernen – Vielfalt leben!“ Warum wir dem Themenfeld Vielfalt, Bildung und Inklusion gerade auch aus gewerkschaftlicher Sicht hohe Aufmerksamkeit schenken und es auch weiterhin eine maßgebliche Rolle in unseren bildungspolitischen Positionen spielen wird, erklärt sich aus unserem Bildungs- und Gesellschaftsverständnis und den Verknüpfungen mit der Arbeitswelt. Denn wie heißt es so schön: „Nicht für die Schule, sondern für das Leben lernen wir.“

Das Leben selbst ist in höchstem Maße durch Vielfalt geprägt und das trifft vor allem auch auf das gesellschaftliche Leben sowie insbesondere auch auf das Arbeitsleben zu. Wie stellt sich also die Vielfalt des Lebens aus Sicht der Gewerkschaft dar und welche Rolle wird dabei der Bildung bzw. dem gemeinsame Lernen beigemessen?

Der Grundgedanke von „Gewerkschaft“ ist die Organisierung und der Einsatz für die Interessen der ArbeitnehmerInnen. Die Arbeitswelt ist durch Wandel gekennzeichnet und nicht nur komplex sondern auch vielfältig. Trotz dieses Wandels bleibt die gewerkschaftliche Grundidee, die Organisierung der ArbeitnehmerInneninteressen und das Eintreten der ArbeitnehmerInnen für ihre Interessen von zentraler Bedeutung. Bei allem unmittelbaren gewerkschaftlichen Einsatz für diese Interessen ist es aber auch enorm wichtig den Blick über die Arbeitswelt hinaus auf die Gesellschaft als Ganzes zu richten. Die Menschen verbringen sehr viel Zeit mit Arbeit und leben von ihrer beruflichen Tätigkeit. Dementsprechend viel Einfluss hat ihre Arbeitssituation auch auf alle anderen Lebensbereiche: Familie, Bildung, Politik und Kultur – um nur einige zu nennen.

Aus gewerkschaftlicher Sicht ist es entscheidend, die Arbeitswelt im Sinne „Guter Arbeit“ mitzugestalten. Die heute vorherrschende Dynamik in der Wirtschaft und die Anforderung, sich ständig verändern bzw. anpassen zu müssen, stellt die Menschen vor große Herausforderungen. Auch die Gewerkschaften müssen hier immer wieder Antworten finden, um im Einsatz für gute Arbeitsbedingungen erfolgreich zu sein. Worauf diese Antworten besonders eingehen müssen, ist die Vielfältigkeit der Arbeitswelt. Dabei sind vor allem die Vielfalt unterschiedlicher Arbeitsbedingungen und die Vielfalt der arbeitenden Menschen in Betracht zu ziehen.

Ein markanter Unterschied, durch den die Arbeitswelt heute – und man muss leider betonen: mehr denn je – gekennzeichnet ist, ist jener zwischen Beschäftigung auf der einen und der Betroffenheit von Arbeitslosigkeit auf der anderen Seite. Für diejenigen, die Arbeit haben, stellt sich zusätzlich die Frage, unter welchen Bedingungen sie arbeiten. Arbeitslosigkeit und Flexibilisierung bringen Menschen in schwierige, teils aussichtslose Situationen. Die vielen Probleme, denen sich die Menschen hier ausgesetzt sehen, widersprechen in dramatischer Weise den Fortschrittsprophezeiungen der neoliberalen Politik des freien Marktes und des globalen Wettbewerbs. Die Gefahren dieser Entwicklungen und die Bedeutung der Bildungspolitik in diesem Zusammenhang waren schon Alfred Dallinger bewusst:

„Der Bildungspolitik wird im Kampf gegen die Arbeitslosigkeit in Zukunft ohne Zweifel eine Schlüsselrolle zukommen. Die raschen und tiefgreifenden Änderungen zwingen zu dauernden Anpassungen. Die Chancen und Gefahren der Mikroelektronik, die weitgehende ‚Tertiärisierung‘ der Arbeitswelt, die ‚Globalisierung‘ der Märkte durch die neuen Kommunikationsmittel und andere Erscheinungen stellen gewaltige Herausforderungen für die ganze Gesellschaft dar.“ (Alfred Dallinger, Referat beim internationalen Symposion des Club Of Rome “Arbeit für die Jugend – eine Herausforderung unserer Zeit”, Wien, 08. Juni 1988.)

Im Dezember 2013 waren knapp 420.000 Menschen in Österreich arbeitslos, die Arbeitslosenrate stieg mit 7,6 Prozent auf den höchsten Wert seit dem Jahre 1953. Die durchschnittliche Dauer eines Beschäftigungsverhältnisses liegt heute bei ca. 1,6 Jahren (Stand 2011). Die Angst vor Verlust des Arbeitsplatzes, dauernder Anpassungsdruck und immer mehr Flexibilität in der Arbeitswelt sind starke Belastungen für ArbeitnehmerInnen.

Die Forderung der Wirtschaft lautet: permanente Ausbildung nach den Prinzipien ökonomischer Verwertbarkeit. Für die vielfältigen Bedürfnisse der Menschen und ihre Interessen bleiben dabei in der Regel unberücksichtigt. Die dramatischen Auswirkungen dieser Deformierung von Bildung hat zuletzt der österreichische Filmemacher Erwin Wagenhofer in seinem Dokumentarfilm „alphabet“ eindrücklich aufgearbeitet.

Wir müssen diesen Entwicklungen neue Modelle und Lösungen entgegenhalten. Die Komplexität der Arbeitswelt und das Primat der Ökonomie darf Menschen nicht länger unter Druck setzen! Die Arbeitenden müssen mit ihren vielfältigen Neigung und Fähigkeiten die gestaltende Kraft in der Arbeitswelt sein – und darüber hinaus natürlich auch in allen anderen gesellschaftlichen Bereichen. Gerade dazu ist die Bildung ein wesentlicher Schlüssel – und zwar eine Bildung, die sich „Gemeinsam lernen – Vielfalt leben“ zum Leitthema macht und die Vielfalt als wertvolle, schier unendliche Ressource begreift.

In dieser Hinsicht sollte auch tatsächlich Ernst genommen werden, dass wir nicht für die Schule, sondern für das Leben lernen. Wir lernen für das Zusammenleben und das zusammen Arbeiten mit anderen Menschen, deren Vielfalt sich auszeichnet durch

  • unterschiedliche Herkunft, Muttersprache und kulturelle Hintergrund;
  • durch die Unterscheidung zwischen Männern und Frauen sowie Jung und Alt aber auch durch
  • unterschiedliches Vorwissen, verschiedene Interessen und Fähigkeiten.

Nur ein Beispiel zur Veranschaulichung, wie diese Vielfalt in der betrieblichen Realität aussieht: In einer der größten österreichischen Supermarktketten sind 75 Prozent aller Lehrlinge österreichische StaatsbürgerInnen, doch nur etwas über die Hälfte von ihnen wurde auch hier geboren. Die 300 Jugendlichen stammen aus 22 Nationen oder Volksgruppen und haben die unterschiedlichsten Herkunftssprachen.

Bildung kann und muss dazu beitragen die Grundbedingungen für ein Zusammenleben in Vielfalt zu schaffen, durch das alle gewinnen. Diese Bedingungen sind Bemühen, Toleranz und Verständnis aller Beteiligten. Das sind nicht für die Gestaltung der Arbeitswelt nach menschlichen Prinzipien entscheidende Aspekte. Sie sind auch für unsere Demokratie, deren Kernelement die politische Teilhabe der Menschen ist, von zentraler Bedeutung. Die Ermöglichung dieser Teilhabe an der Gesellschaft für alle Menschen war für die Gewerkschaften seit jeher eines der obersten Ziele von Bildung. Auch dazu hat Alfred Dallinger eindeutig Position bezogen und den Gewerkschaften eine bedeutende Rolle zugeschrieben:

„Wollen Gewerkschaften zur Demokratisierung der Gesellschaft beitragen, dann kann man sich nicht nur darauf konzentrieren, die eigene Bildungsarbeit ständig zu verbessern. Als Interessensvertretung der Arbeitnehmer müssen wir auch versuchen, die demokratischen Zielvorstellungen in das gesamte Bildungssystem einzubringen.“ (Alfred Dallinger, Rede am 10. Gewerkschaftstag der Gewerkschaft der Privatangestellten, 14.-19.11.1982)

Diese demokratischen Zielvorstellungen sind seit Dallingers Zeiten im Wesentlichen dieselben geblieben sind: Chancengleichheit, Gleichberechtigung und Mitbestimmung. Doch nach wie vor sind Bildungschancen in Österreich ungleich verteilt. Unser Bildungssystem verstärkt sogar Benachteiligungen, die jemand beispielsweise aufgrund seiner Herkunft, Muttersprache oder geringer schulischer Bildung der Eltern hat. Es weist damit Ähnlichkeiten zur Arbeitswelt auf, die die Menschen vor sich hertreibt und nach bestimmten Merkmalen ausschließt oder präkarisiert: „Geringqualifizierte“, MigrantInnen, Frauen und Ältere.

In einer ökonomisierten Welt gehört es zu den primären Aufgabe der Gewerkschaften, sich weiterhin mit aller Vehemenz für Chancengleichheit, Gleichberechtigung und Mitbestimmung in Bildung und Wirtschaft einzusetzen. Schließlich sind Demokratie, gesellschaftliche Teilhabe und „Gute Arbeit“ von entscheidender Bedeutung für soziale Sicherheit und Wohlstand, für ein Zusammenleben der Menschen in all ihrer Vielfalt. Entgegen jener, die Angst vor dem Fremden und Verunsicherung gegenüber dem Neuen schüren, die Menschen zu Feinbildern abstempeln, um gegen sie hetzen zu können, gilt es den „Ur-Antrieb“ der Bildung zu stärken: die Neugier und die Freude an Neuem. Einer der wichtigsten Orte, wo das geschehen kann bzw. möglich sein sollte, ist die Schule.

In einer Schule, in der Vielfalt gelebt wird, wird unweigerlich Neues gelernt, soziales Miteinander anstatt eines Gegeneinanders erlebbar und das Gemeinsame über das Differenzierende gestellt. Damit wird ein entscheidendes Fundament für das spätere Leben gebildet, in dem es auf Zusammenarbeit, Mitbestimmung in Gesellschaft und Arbeitswelt bzw. Betrieb und auch weiterhin auf die Freude am Lernen ankommt.

Wer die Wichtigkeit der Bildung bzw. der Schulen für all diese Bereiche betont, darf keinesfalls die Bedeutung derer unerwähnt lassen, die für das Gelingen eines gemeinsamen Lernens in Vielfalt Sorge tragen. LehrerInnen aber auch andere pädagogische und verwandte Professionen, BetreuerInnen SozialarbeiterInnen, PsychologInnen, FreizeitpädagogInnen und viele andere mehr. Und nicht zuletzt auch viele engagierte Eltern und natürlich auch die SchülerInnen selbst – auch diese Auflistung zeigt, wie vielfältig Schule ist! Die gemeinsame Gestaltung von Bildung ist selbst ein Prozess, in dem gelernt wird – und zwar umso mehr als sich alle Betroffenen zu Beteiligten machen und einbringen können. Die Chancen der Inklusion beginnen nicht bei einer vagen Umsetzung durch andere, sondern durch das aufeinander Zugehen, gemeinsam Lernen und gemeinsam Tun. Auf diese Weise wird gelingende, fruchtbare Vielfalt für alle erfahrbar.

Artikel in der GPA-djp-Mitgliederzeitschrift Kompetenz zum Thema:

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