Österreich: mit „Trick 17“ zum Land der BildungsaufsteigerInnen

Oder: Warum man Think Tanks kein Vertrauen schenken sollte

„Unseren Kindern soll es einmal besser gehen“ – vor allem durch bessere Bildung

Wir alle kennen ihn, diesen Spruch von Eltern: „Meinen Kindern soll es einmal besser gehen als es uns gegangen ist.“ Vielfach wird mit diesem Anliegen auch das Ziel gleich gesetzt, dass die Kinder eine besser Ausbildung erhalten bzw. einen höheren Schulabschluss machen sollen, als die Eltern das konnten. Dass es sich dabei um ein wichtiges und legitimes Anliegen von Eltern handelt, wird niemand bestreiten, insbesondere niemand, der/die selbst Kinder hat. Es stellt sich also die Frage, wie es um die Umsetzung bzw. um die Möglichkeiten der Verwirklichung dieses Anliegens bestellt ist. Um darauf eine Antwort zu geben, die nicht nur einige subjektive Erfahrungen widerspiegelt, sondern die gesellschaftlichen Verhältnisse und damit die Betroffenheiten der Bevölkerung in ihrer Gesamtheit betrachtet, werden statistische Untersuchungen durchgeführt.

Österreich: Starke Bildungsvererbung

Ein wesentliches Ergebnis international vergleichender Studien zu dieser Frage: Im Durschnitt der OECD-Länder übertreffen 32 Prozent der 25- bis 34-Jährigen den Bildungsabschluss ihrer Eltern (davon 22 Prozent mit einem Studium, zehn Prozent mit einer Matura). In Österreich trifft dies hingegen nur auf 21 Prozent zu: „Dies ist einer der niedrigsten Werte der OECD-Länder“, heißt es im Österreich-Report der breit angelegten OECD-Bildungsstudie “Education at a Glance” („Bildung auf einen Blick“), die Ende November 2015 veröffentlicht wurde. (Siehe dazu auch: „‚Bildung auf einen Blick 2015‘: Warum die AkademikerInnen-Quote plötzlich um 10%-Punkte in die Höhe schoss“)

Neoliberaler „Trick 17“: soziale Ungleichheit verschleiern

Österreich scheint sich in punkto Bildungsvererbung von seinen ständestaatlichen Wurzeln noch nicht allzu weit entfernt zu haben und es gibt Akteure, denen die Deutlichkeit der Kritik zu schaffen macht. Wolfgang Feller von der “Agenda Austria” – einem von Banken und Großkonzernen finanzierten „Think Tank” – kritisierte die Aussagen der OECD bereits wenige Wochen nach der Veröffentlichung und behauptete, es gäbe Bildungsaufstieg hierzulande viel häufiger als von der OECD behauptet. Vorige Woche wurde von der Agenda Austria eine Studie veröffentlicht, in der Österreich vom europäischen Schlusslicht in Sachen Bildungsvererbung sogar zum “Land der Bildungsaufsteiger” mutiert. Die Ergebnisse wurden medial breit rezipiert (DerStandard.at, Kleine Zeitung, Neue Vorarlberger Tageszeitung, APA etc.).

In der folgenden kurzen Replik auf die Agenda Austria-„Studie“ (sowie die unreflektierte mediale Berichterstattung darüber) zeigt Winfried Moser*, mit welchen unwissenschaftlichen Tricks der Studienautor die Ergebnisse der OECD und der Statistik Austria so umdeutet, dass sie in ihr Gegenteil verkehrt werden:

1. Man nehme vorhandene Daten und kategorisiere sie nach seinem eigenem Bedarf einfach neu

Die OECD unterteilt die Bildungskategorien, anhand derer die Bildung von Eltern und Kindern verglichen werden, in drei sehr grobe Stufen: Die niedrigste Stufe umfasst Personen mit Pflichtschulabschluss, die höchste Personen mit akademischem Abschluss (inklusive Meisterprüfung), die Mittelgruppe umfasst all jene, die sich zwischen diesen beiden Stufen befinden. Feller kritisiert diese Vorgangsweise schlägt eine fünfstufige Kategorisierung vor: Pflichtschule, Lehre inklusive berufsbildende mittlere Schulen, Schulen mit Maturaabschluss (inklusive Meisterprüfung), Akademien (Pädagogische Akademie, Sozialakademie) und Universitäten beziehungsweise Fachhochschulen. Des weiteren ändert er die untersuchte Altersgruppe und untersucht nicht 25- bis 34-Jährige, sondern 35- bis 44-Jährige.

Mit dieser Kategorisierung kommt Feller auf eine doppelt so hohe Bildungsmobilität wie die OECD und schließt daraus ungeniert: “Österreich ist das Land der Bildungsaufsteiger”.

Es mag schon sein, dass die Kategorisierung der Agenda-Studie die Eigenheiten des österreichischen Bildungssystems geringfügig besser beschreibt als die grobe Gruppierung der OECD. Insbesondere die OECD-Zuordnung der Personen mit Meisterprüfung könnte man korrigieren. Allerdings kann dieser Punkt kaum gravierenden Auswirkungen auf den Befund haben, denn die Meisterprüfung spielt als Bildungsabschluss in Österreich nur eine untergeordnete Rolle (der Anteil der 25- bis 34-jährigen mit Meisterprüfung liegt zwischen zwei und drei Prozent).

Der Vergleich, den der Wolfgang Feller von der Agenda Austria anstellt, ist hingegen aus forschungsmethodischer Perspektive absolut unzulässig. Feller vergleicht zwei unterschiedliche Kategorisierungen (3-stufig vs. 5-stufig), die noch dazu für unterschiedliche Altersgruppen berechnet werden (25- bis 34-jährige vs. 35- bis 44-jährige). Aus einem solchen Vergleich auf einen höheren Anteil von Bildungsaufsteigern zu schließen ist absurd. Ebenso könnte man sein Gewicht kontrollieren, ohne zu beachten, ob die Waage in Kilogramm oder in Pfund misst (ein Kilogramm hat 2,2 Pfund). Wenn man sich regelmäßig in Pfund wiegt, dann hat man nicht abgenommen, nur weil die Waage zufällig einmal Kilogramm anzeigt.

2. Man vergleiche einfach, was einem gerade gut in den Kram passt

Die Grundlage für den OECD-Befund der starken Bildungsvererbung in Österreich ist im Übrigen gar nicht die Höhe des errechneten Anteils per se (21 Prozent), sondern der Vergleich mit den Anteilen anderer Staaten (Österreich gehört zu den Schlusslichtern) oder mit dem OECD-Mittelwert (32 Prozent). Mit der Kategorisierung der Agenda Austria ist ein solcher Vergleich aber gar nicht möglich, denn die geänderte Definition erschwert oder verunmöglicht den Vergleich auf europäischer Ebene, etwa weil Lehrbetriebe oder berufsbildende mittlere Schulen in vielen Vergleichsstaaten nur eine geringe oder gar keine Rolle spielen.

Feller begibt sich aber gar nicht in die Verlegenheit, seine Österreich-Ergebnisse durch einen Vergleich mit anderen OECD-Staaten zu hinterfragen. Er sucht sich statt dessen einen anderen internationalen Vergleich heraus, der ihm gut in den Kram passt. Zum Beispiel verweist er darauf, dass in Österreich im internationalen Vergleich besonders viele Kinder aus bildungsfernem Elternhaus studieren. Die eigentlich relevante Frage – ob nämlich diese Kinder ihr Studium auch abschließen – kümmert ihn allerdings nicht weiter, schließlich könnten sich ja unangenehme Antworten ergeben.

Eine grobe Kategorisierung ist durchaus zu rechtfertigen, wenn die entscheidenden bildungssoziologischen Differenzierungen abgebildet sind – und das ist bei der OECD-Kategorisierung der Fall. Die wichtigste Schwelle im Bildungsverlauf ist der Übertritt in eine weiterführende Ausbildung nach der Pflichtschule. Eine betriebliche oder schulische Berufsbildung auf der Sekundarstufe II wirkt als eine Art Barriere: ausschließend für diejenigen ohne Berufsausbildung und vorteilhaft für diejenigen mit einer Qualifikation. Fragen wie „Meisterprüfung oder Studium?” oder “Lehre oder Matura?” sind hingegen zweitrangig. Wenn man den OECD-Vergleich methodisch weiter ausdifferenzieren will, dann wäre es eher angebracht, sich auf Vergleichsstaaten zu beschränken, in denen Berufsbildung eine wichtige Rolle spielt, weil früher Schulabgang in diesen stärker negativ sanktioniert wird. Die “Kritik” Fellners hingegen ist völlig haltlos.

3. Man betreibe statistische Willkür

Abgesehen von der vorgebrachten forschungsmethodischen Kritik kann man noch darauf verweisen, dass eine Erhöhung der Anzahl von Ausprägungen (zur Erinnerung: OECD – drei Ausprägungen, Agenda – fünf Ausprägungen) schon aus statistischen Gründen die Wahrscheinlichkeit erhöht, dass ein Bildungsaufstieg zugeordnet wird. Der höhere Prozentsatz ist damit möglicherweise bloß ein statistisches Artefakt. Auf diese Tatsache hinzuweisen wäre das Mindeste, was man von einer wissenschaftlich ordentlich gemachten Untersuchung verlangen kann.

Und zu guter Letzt: Es ist mir bisher nicht gelungen, den hohen Anteil von BildungsaufsteigerInnen, auf den die Agenda Austria kommt (45 Prozent), statistisch nachzuvollziehen. Ich komme auf einen erklärungsbedürftig niedrigeren Wert unter 40 Prozent. Vielleicht findet bald jemand die Zeit, das genauer zu überprüfen. Meine Hypothese ist: Herr Feller hat ganz darauf vergessen, die Daten zu gewichten. Aber das ist bislang eben: nur eine Hypothese.

* Winfried Moser ist Geschäftsführer des Instituts für Kinderrechte und Elternbildung

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