Working Poor – arm trotz Arbeit

„Wenn Arbeit nicht vor Armut schützt“ lautet der Untertitel der aktuellen Ö1 Radiokolleg-Ausgabe, die wir im Rahmen unserer neuen Reihe „Hörtipp“ hier am Bildungsblog allen LeserInnen, insbesondere aber allen ArbeitnehmerInnen, BetriebsrätInnen und GewerkschafterInnen ans Herz legen möchten.
„Das Schlagwort ‚working poor‘ bezieht sich nicht nur auf Niedriglöhne (wie es in Deutschland schon einige Zeit der Fall ist), sondern generell auf die Verbindung von Erwerbstätigkeit und Armut. Ein Niedriglohn muss nicht gleich Armut bedeuten. Der Begriff ‚working poor‘ kann sich auf einzelne Personen oder auf Haushalte beziehen.“ (Österreichisches Institut für Familienforschung)

Das Phänomen der „Working Poor“ ist eine der problematischsten Auswirkungen der neoliberalen Polit- und Wirtschaftsagenda, die spätestens seit den 1980er Jahren die gesellschaftliche Entwicklung dominiert. „Schon im Jahr vier des Thatcherismus waren 12,5 Prozent der erwerbsfähigen Briten ohne Beschäftigung. Die Chicago Boys hatten auch darauf eine Laboratoriumsantwort: runter mit dem Arbeitslosenentgelt, runter mit dem Mindestlohn, denn eine wahre Marktwirtschaft kennt keine Arbeitslosigkeit – nur zu hohe Lohnkosten. So begann die Geschichte der Working Poor, jener neuen Unterschicht, für die das System die McJobs vorsah, ein dem Geist der Chicago Boys entsprungenes Gespenst, das in seinen vielen Varianten von Prekariat bis Praktikum die Gesellschaft mehr und nachhaltiger verheert hat als alles andere.“ (Wolfgang Weisgram: Sozialdemokratie: Die Mappe des Alfred Dallinger, derStandard.at, 10.01.2015)


Die aktuelle Ausgabe des Ö1 Radiokolleg widmet sich einer ausführlichen Bestandsaufnahme, den arbeistmarkt- und sozialpolitischen Problemstellungen sowie der schwierigen Lebensrealität der „Working Poor“ in Österreich:

Trotz Einkommen, kein Auskommen – das trifft laut Statistik Austria auf fast 300.000 Menschen in Österreich zu. Trotz Arbeit verdienen sie weniger als 1.163 Euro monatlich. Sie arbeiten als Leiharbeiter/innen, neue Selbstständige oder Werkvertragsnehmer/innen oder sind in Branchen tätig, die laut Kollektivvertrag schlecht bezahlt werden – wie etwa in der Landwirtschaft oder im Dienstleistungssektor. Der österreichische Arbeitsmarkt wurde in den vergangenen zwei Jahrzehnten liberalisiert und dereguliert. Die Wirtschaft brauche flexible Arbeitskräfte, so lautet das Argument. Infolge hat die Zahl atypischer Beschäftigungsverhältnisse zugenommen. Immer mehr Menschen sind in befristeten Arbeitsverhältnissen oder arbeiten auf Werkvertragsbasis. Oft sind sie nicht durchversichert und daher auch von Altersarmut bedroht. Hinzu kommt, dass mehr als eine Million Arbeitnehmer/innen mittlerweile Teilzeit arbeiten. Im vergangenen Jahr arbeiteten 52 Prozent der Frauen in einem atypischen Beschäftigungsverhältnis, aber nur 16 Prozent der Männer.

Soziale Unsicherheit kehrt von den Rändern der Gesellschaft ins Zentrum zurück. Sie betrifft mittlerweile auch erwerbstätige Menschen und immer mehr Menschen aus der Mittelschicht. Ein abgeschlossenes Universitätsstudium ist kein Garant mehr für einen guten Lohn. Befristete Arbeitsverhältnisse, Praktika oder quasi-selbstständige Projektarbeit bestimmen oftmals nicht mehr nur den Beginn der beruflichen Karriere, sondern prägen das Erwerbsleben über einen längeren Zeitraum hinweg.

Doch auch Vollzeitbeschäftigte verdienen manchmal zu wenig, um davon gut leben zu können. In 22 EU-Ländern gibt es einen Mindestlohn. In Österreich sind die Kollektivverträge so etwas wie ein de-facto Mindestlohn. Die Gewerkschaft fordert in ihrem aktuellen Grundsatzprogramm, dass Vollzeitbeschäftigte mindestens 1.500 Euro brutto verdienen sollen. Doch davon sind noch viele Beschäftigte weit entfernt. Zeitungszusteller verdienen laut Kollektivvertrag nicht einmal 900 Euro pro Monat. Gerade im Niedriglohnsektor wird auf Arbeitnehmer/innen aus anderen EU-Mitgliedsstaaten zurückgegriffen. Menschen aus Rumänien, Bulgarien, Ungarn oder der Slowakei arbeiten in Österreich auf dem Bau, in der Landwirtschaft oder der Pflege. Oft wissen sie zu wenig über ihre Rechte und sind von Ausbeutung betroffen.

Wird der Arbeitsmarkt immer mehr zu einem Ort der sozialen Ungleichheit? Welche Folgen hätte die Einführung eines Mindestlohns in Österreich? Was kann man gegen Sozialdumping unternehmen? Und wie gehen Menschen in atypischen Beschäftigungsverhältnissen mit der finanziellen Ungewissheit um?

Ö1 Radiokolleg: Working Poor. Wenn Arbeit nicht vor Armut schützt. 06.-09.03.2017, 09:05 und 22:08 Uhr bzw. nachzuhören unter „7 Tage Ö1“

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